Prinzessin Insomnia &der alptraumfarbene Nachtmahr by Moers Walter

Prinzessin Insomnia &der alptraumfarbene Nachtmahr by Moers Walter

Autor:Moers, Walter
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2017-08-10T16:00:00+00:00


Tertius Decimus

DER FRIEDHOF DES BUNTEN HUMORS

Eine geraume Zeit liefen die Prinzessin und der Nachtmahr stumm hintereinander her. Ihre Wanderung führte sie vom Thalamus aus durch beklemmend enge und unbehauste Hirnwindungen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, begleitet vom ständigen Gezwitscher der Zwielichtzwerge, die Dylia nach wie vor treu und hartnäckig folgten. Der Schwarm hatte sich zahlenmäßig um mindestens ein Dutzend Zwielichtzwerge reduziert. Dafür machten die übriggebliebenen den Eindruck, als seien sie nicht nur im Volumen angewachsen, sondern auch dichter und damit sichtbarer geworden.

Sie wirkten nun nicht mehr so sehr wie durchsichtige kleine Geister, sondern eher wie gläserne Vögel ohne Flügel, denn auch ihre Stimmen waren lauter geworden.

Darauf angesprochen, antwortete der Gnom: »Ja, das ist mir auch aufgefallen. Sie wachsen. Ich glaube, das ist bei ihnen eine ganz natürliche Entwicklung. Auf ihrem Weg durch das Gehirn machen sie einen Prozess durch, der dem Erwachsenwerden entspricht. Besonders durch positive Erfahrungen, aber auch durch unangenehme Erlebnisse können sie an Volumen zunehmen.« Der Gnom blickte zu den Zwielichtzwergen hinauf, die seine Gesellschaft nach wie vor mieden. »Schon nach der Schatzkammer mit der Riesenspinne haben sie auf mich einen – wie soll ich sagen? – gereifteren Eindruck gemacht. Es sind ja Gedanken, die heranreifen. Und auch das Schicksal ihrer Gefährten, die sich für dich beim Thalamus geopfert haben, muss bei ihnen großen Eindruck hinterlassen haben. Das war sicher schlimm für sie, aber dadurch sind sie auch sichtbar gewachsen. Und kräftiger geworden.«

Dylia hatte auch noch etwas Anderes bemerkt. Schon auf dem Weg zum Thalamus waren ihr etliche fliegende, dezent leuchtende und transparente Objekte aufgefallen, die ihnen in den Hirngängen oft in ganzen Schwärmen schwebend und lautlos entgegengekommen waren. Sie hatten sehr einfache, mal recht komplizierte geometrische Formen – Würfel, Kugeln, Pyramiden, Trapezoeder –, oder es waren bizarre Mischungen daraus, für die es wahrscheinlich Namen gab, die Dylia aber nicht kannte. Je weiter sie sich vom Thalamus entfernten, desto seltener wurden diese anscheinend harmlosen Schwebkörper, und eben das erregte das Interesse der Prinzessin. Aber auch hierfür hatte Havarius eine Erklärung.

»Ach, das sind nur Geome«, sagte er. »Fliegendes Licht eigentlich. Manchmal sehr praktisch.«

»Geome …«, merkte sich Dylia den schönen Namen. »Nicht unpassend. Was, äh, tun sie?«

»Na, leuchten hauptsächlich. Unter Nachtmahren werden sie wegen ihrer Formen gelegentlich auch abfällig Bauklötze genannt.« Er grinste. »Du kennst sicher die Redensart Bauklötze staunen. Es sind Gedankensplitter, die zusammen logische Assoziationsketten bilden können, also vorwiegend klare Gedanken praktischer Art. Die Geometrie der Vernunft sozusagen. In der Nähe des Thalamus gibt es besonders viele davon, daraus schließe ich, dass wir in die richtige Richtung marschieren. Es werden immer weniger.«

»Sie sind … harmlos?«, fragte Dylia vorsichtig.



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